Karoline Schreiber

*1969 in Bern, lebt in Zürich

Bildwürdig sind für Karoline Schreiber: Haufen von schwarzen Socken. Ob vor oder nach der kollektiven Schwarzwäsche, bleibt offen. Auch Haufen schwarzer Socken haben ihre Eigenarten, ihre Ausprägungen, ihre Individualitäten, denen Anerkennung gebührt. Bildwürdig ist eine sauber geschnittene Tranche Rindfl eisch – schön geädert, ein perfektes Stück. Bildwürdig ist das berühmte «Schwarze Quadrat» von Kasimir Malewitsch, einer der Ursprünge der ungegenständlichen Malerei. Bei Schreiber wird es gegenständlich, weil das Bild sich mit einer eingedrückten Ecke präsentiert – das Dokument eines Unfalls? Bildwürdig ist die (eigene?) Bauchspeckfalte, die den Betrachter:innen ostentativ aufs Auge gedrückt wird. Schönheitsideale gehen auch andersrum. Und als Schreibender darf man für einmal unverschämt sein, weil die Malerin mit sich selbst genauso schonungslos ins Gericht geht.Zu dieser Schonungslosigkeit, diesem frechen Scharfsinn, dieser Prägnanz gehört Karoline Schreibers hundertprozentige Hingabe an ihren Gegenstand. Ist die konzeptuelle Entscheidung mal gefallen, was bildwürdig ist, kann sie völlig abschalten und sich diesem einen Ding und seiner äusseren Erscheinung voll und ganz «verschreiben». Um dann zu sagen: «Was ich weiss, ist, dass ich mich schon immer gerne mit der äusseren Erscheinung von Dingen und deren innerer Bedeutung beschäftigt habe.» Bildwürdig waren – schliesslich – auch schon Kothaufen und Arschlöcher. Nachdem die Künstlerin ihre Überwindung überwunden hat, widmet sie sich akribisch und hochkonzentriert dem, was sich vor ihr darstellt. Schliesslich gehören auch sie zur Welt: Scheisshaufen und Riesenarschlöcher. Warum sollten sie kein Recht haben, als Kunstwerk bildwürdig zu werden?Karoline Schreiber erspart uns wenig von dem, was uns durch den Tag so begegnet – Freundlichem und weniger Freundlichem. Luzid richtet sie exakt darauf ihre Lupe, wo es am meisten irritiert. Muss das denn wirklich sein?, denkt man sich. Ja, es muss. Antwortet das bildwürdige Bild lakonisch. Sieh dir das nur mal an – bevor du schon wieder dein Vorurteil zur Hand hast. Die Wertfreiheit ist der Künstlerin ein Credo, das ihr den Glauben daran wert ist.Danach lässt sich immer noch urteilen: wenn man hinter sein eigenes Urteil zurückgegangen ist und sich dieses von der Arschseite her angeschaut hat. Ist die Selbstrefl exion erst mal getan, wirkt das unglaublich erleichternd. Weil nun klar wird, was alles verdrängt war, was man nicht sehen wollte: den Ekel an sich selbst und an der Welt zum Beispiel. Liegt diese Konfrontation hinter einem, öffnet sich – sagen wir es mal so – einiges. Wird das mit einer derart eindrücklichen konzeptuellen und intellektuellen, mal- und zeichentechnischen Kenner:innenschaft vorgeführt wie hier und kommt noch etwas hinzu, was leider viel zu selten ist in der zeitgenössischen Kunst, nämlich Humor, dann ist das nichts weniger als ein Ereignis.

Karoline Schreiber ist Zeichnerin, Malerin und Performerin. Ihr höchst produktives Werk umfasst neben Zeichnung auch Malerei, Performance und Text. Mit unterschiedlichen Bildsprachen, die von krakelig cartoonesken Darstellungen bis hin zu virtuoser Meisterschaft reichen, thematisiert die Künstlerin in ihren Arbeiten sowohl politisches Weltgeschehen wie auch private Situationen, menschliche Unzulänglichkeiten oder die Bedingungen des Kunstsystems. Immer wieder kippt die Ernsthaftigkeit der dargestellten Zustände dabei ins Surreale und ebenso ins latent Unbehagliche. Ihre Arbeiten werden in zahlreichen Ausstellungen und Institutionen im In- und Ausland gezeigt und wurden mehrfach ausgezeichnet. Seit 2001 ist die Künstlerin Dozentin für Zeichnung an der Hochschule der Künste Bern.

karolineschreiber.ch

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