Giampaolo Russo

*1974 in Zürich, lebt und arbeitet in Zürich

Giampaolo Russo geht von der Natur aus. Gleichwohl sucht seine Malerei die Sensation nicht ausser sich, in spektakulären Motiven, sondern nimmt in den Blick, was vor ihr liegt. Landschaften schuf er bisher vor allem in Castrignano de’ Greci, dem apulischen Dorf, in dem er aufgewachsen ist. Sie zeigen Oliven-, Kaki- und Mandarinenbäume oder die helle, schlichte Fassade des Kastells im besonderen Licht des Südens. Im Helmhaus präsentiert der Künstler eine Serie Zürcher Landschaften, die wiedergeben, was er von seiner Staffelei aus im Atelierhaus Südstrasse 81 sieht, einem alten Bauernhaus unter dem Rebberg Burghalde in Riesbach: den Hofplatz, Sträucher entlang des Nebelbachs und Bäume in verschiedenen Jahreszeiten. Mit Bleistift- oder Kohleskizzen bestimmt er fast quadratische Ausschnitte. Die Ölfarbe trägt er unverdünnt auf die Leinwand auf. Schicht um Schicht reichern sich die Bilder zu Reliefs an. Diese Landschaften unterscheiden nicht zwischen Figur und Grund. Keine Horizontlinie stiftet Orientierung in der gestischen Malerei ohne feste Konturen. Feine Akzente in Zitronengelb oder Kadmiumrot kontrastieren mit der Tonalität.Auch in seinen Porträts zielt Giampaolo Russo nicht auf das unmittelbar Erkennbare. Vielmehr sondiert er nach «unsichtbaren Linien». Während der Arbeit wechselt er zu den direkteren Techniken der Bleistift- und Tuschezeichnung. Die nicht revidierbare Tusche fordert nach raschen Entscheidungen und kann zu Zufällen und einer grösseren Freiheit im Ölbild führen. Mit dem Malen weiten sich die Bilder aus, wodurch die Gesichter meist angeschnitten erscheinen. Nicht nur die offenen, dunklen Augen erinnern an römische Porträts. «Die Intensität meiner Bilder entsteht durch die langsame Arbeitsweise. In einem Dialog mit dem Modell, der über vierzig Sitzungen dauern kann und immer wieder andere Zustände zeigt, versuche ich, die Präsenz des Modells zu erfassen», so der Künstler. Während er bisher meist auf das Gesicht fokussierte, malte er den Architekten Roger Cottier und den Publizisten Willi Wottreng, die seit ihrem Engagement als Studentenaktivisten in der 68er-Bewegung befreundet sind, als Brustbilder im Viertelprofi l beziehungsweise frontal mit leicht geneigtem Kopf. Giampaolo Russo setzt der Immaterialität digitaler Bildproduktion seine die Wahrnehmung verlangsamende sinnliche Malerei gegenüber. Der hyperrealen Virtualität den Zauber der Illusion, die in ihrer Abstraktion als solche erkennbar bleibt.

Nach der Geburt in Zürich Übersiedlung nach Süditalien, wo er im Heimatdorf Castrignano de’ Greci in der Provinz Lecce (Apulien) bei den Grosseltern aufwächst. Mit 15 Jahren Umzug nach Zürich, wo er von 1990 bis 1995 das italienisch-schweizerische Liceo Artistico (Kunstgymnasium) besucht. Nach der Maturität Studium der Malerei an der Akademie der bildenden Künste Brera in Mailand. Seit 2000 arbeitet er wieder in Zürich, wo er ein Atelier als Stipendiat in der Stiftung Binz39 bezieht und später in ein Atelier im Kulturzentrum Rote Fabrik wechselt. Bei einem Brand in der Roten Fabrik im Jahr 2012 ging sein gesamtes bisheriges Werk in Flammen auf. Seit 2019 arbeitet er in einem Atelier der Ateliergemeinschaft Südstrasse in Zürich. Seine Werke, vor allem Porträts und Landschaften zwischen Zürich und Apulien, entstehen aus der direkten Anschauung. In zeitlich intensiver Auseinandersetzung mit dem Gesehenen baut Russo die Bilder in vielen Malschichten auf.

«In meinen Arbeiten zeige ich verschiedene Vedute (Ansichten) aus dem Garten und von der Terrasse im Haus meiner Mutter und Grosseltern in Süditalien, wo ich einen Teil meines Lebens verbracht habe und mehrmals im Jahr Zeit verbringe. Dort kann ich dank des milden Klimas draussen arbeiten. Die Ausschnitte einer Landschaft entstehen aus der direkten Anschauung. Sie sind das Resultat meiner Erinnerung an diese Orte und Bilder, meistens Erfahrungen aus der Jugend, die ich in mir trage. Die Vedute entstehen aus vielen Versuchen, Linien auf ein Blatt zu setzen, um das Wesentliche hervorzubringen. Die Risse, die Unbeständigkeit und die Grenze des Materials Papier verunsicherten mich immer wieder. Ich wollte anfänglich viele der Blätter wegwerfen. Die dadurch entstandenen Risse waren zentrale Stellen bei meiner Überarbeitung der Zeichnungen und wurden mit der Zeit als Linien in die jeweilige Zeichnung integriert. Bevor ich aber den Mut hatte, wieder daran zu arbeiten, liess ich die Blätter lange liegen. Diese zeichnerische Auseinandersetzung sowie das wiederholte Anschauen schaffen für mich eine neue Verbindung zu diesen bekannten Orten. Gleichzeitig versöhnt und beruhigt mich diese Arbeit nach der frühen Trennung von diesen Orten.»

giampaolorusso.com

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