Ercan Richter

*1961 in Erzurum, Türkei, lebt und arbeitet seit 1987 in Zürich

Das Bild ist monumental – 265 × 200 cm – und heisst schlicht «Wurzeln». Es ist ein politisches Bild. Wie schon die Heuhaufen des Impressionisten Claude Monet im Grunde politische Bilder waren. Ercan Richter malt Steine, Wiesen, Baumrinden, Wurzeln. Den Himmel lässt er weg. Deshalb ist das keine Landschaftsmalerei, sondern es sind Historienbilder. Sie erzählen Geschichten – aus der Geschichte. Man könnte nun ausholen in die Biografie des Künstlers. Aber die Bilder «funktionieren» auch, wenn man diese Biografi e nicht kennt – weil sie kollektive wie individuelle Geschichte(n) vermitteln. Warum richtet der Maler seinen Blick zu Boden, auf die Wurzeln? Weil es ihm um die Verankerung des Baumes im Boden geht. Verankerung? Das Wort begegnet uns nun im Zusammenhang der Inflation. Die Infl ation dürfe nicht «aus der Verankerung gerissen» werden, hört man. Sonst drohe gröberes Ungemach. Gröberes Ungemach droht auch dem Baum. Aus ökologischen Gründen. Und als Symbol für die Gefährdung jeder menschlichen Existenz – wenn sie aus ihrer Verankerung gerissen wird. Obwohl Ercan Richter durchaus auch in unwegsamem Gebiet am Chäserrugg im Toggenburg oder um Braunwald im Glarnerland unterwegs ist und «plein air» zeichnet und malt, sind ihm die Wurzeln aus Schönthal in Baselland exemplarisch.Es geht hier um Wurzeln an sich. «Wurzeln schützen sich und damit auch ihr natürliches Umfeld», sagt Richter. «Lasst meine Erde in Ruhe», würden sie im Ida-Gebirge in der Türkei sagen – dem Land, aus dem der Maler ursprünglich kommt. Im Ida-Gebirge betreibt der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore eine Mine. Wie sich die Steine zwischen die Adern der Wurzeln fügen, ist nicht wirklich naturalistisch, sondern vom Künstler so arrangiert. Weil ihm die Zusammenhänge zwischen Steinen und Wurzeln, zwischen hart und weich, zwischen eckig und rund wichtig sind. Steine und Wurzeln bilden eine Gemeinschaft. In der Gesellschaft und im individuellen Leben braucht es genauso Ausgleich, Vermittlung, Respekt zwischen unterschiedlich gelagerten Kräften. Ercan Richter spricht von der «Erfahrung der Steine». Von ihrem Alter, von ihrer erstaunlich vielfältigen Farbigkeit, von ihrem Gewicht – alles Qualitäten, die er nicht idealisieren möchte, sondern die durchaus auch bedrohlich seien.Die Bildausschnitte, der Blick auf die Motive sind keineswegs so zufällig, wie man denken könnte. Der Blick des Malers nimmt uns mit, führt uns ein in diese Landschaft, die keine Landschaft, sondern eher ein Geschichtsfeld ist. Der Blick fokussiert. Und es ist bestimmt auch kein Zufall, dass Ercan Richter die Steine oft im Gegenlicht zeigt, wie kein Fotograf sie ablichten würde. Er zeigt ihre dunkle Seite. Dunkel ist auch der Hintergrund eines explizit politischen Bildes. Es zeigt Leichen von jugendlichen kurdischen Erdölschmugglern, die 2011 an der irakisch-türkischen Grenze bei einem Luftschlag der türkischen Streitkräfte getötet worden sind.

Nach dem Putsch in der Türkei Verhaftung wegen politischer Aktivitäten. Im Gefängnis autodidaktisch Beginn mit Aquarellmalerei und Zeichnung. 1986 nach vorläufiger Entlassung Flucht in die Schweiz. Ab 1989 intensive Auseinandersetzung mit Malerei und Kunstgeschichte. 1990 dreimonatiger Londonaufenthalt bei einem zypriotischen Maler. 1990 Beginn mit Ölmalerei. 1991 und 1993 mehrmonatige Parisaufenthalte, die der Beschäftigung mit der Kunstgeschichte und der Entwicklung der eigenen Malerei dienen. Ab 1991 Beginn mit der Arbeit an thematischen Zyklen: Zürcher Drogenszene, Siamesische Zwillinge, Krieg und Flüchtlinge, Masken, Türkisches Bad, Birken, Berglandschaften. Neben seiner Arbeit im Oerlikoner Atelier arbeitet er im Völkerkundemuseum der Universität Zürich.

«In meinen Arbeiten lasse ich eher den Himmel aus, im Fokus stehen die Strukturen von Gestein, Wurzeln, Erde und Baumrinde. Die formale Reduktion korrespondiert dabei mit den Farbschichten. In meiner Malerei bringt der reliefartige emotionale Pinselduktus Ursprünglichkeit und Materialität der Natur zum Ausdruck.»

ercanrichter.ch

Zurück
Zurück

Kaspar Toggenburger

Weiter
Weiter

Alex Bär